Geliebt. Erzählungen by Dieter Lenzen

Geliebt. Erzählungen by Dieter Lenzen

Autor:Dieter Lenzen [Lenzen, Dieter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455813555
Herausgeber: Hoffmann und Campe
veröffentlicht: 2015-05-10T16:00:00+00:00


Simultankontrast

Sie war wieder in Eile. Christiane hatte Adonis schon angerufen, bevor Albert eintraf, sodass dieser ihm sagen konnte, sie werde sich verspäten. Albert hatte nichts anderes erwartet, nahm an dem Ecktisch Platz, den sie schon tags zuvor hatte reservieren lassen, und bestellte weißen Martini. Adonis servierte ihm den Drink und musterte Albert eher gelangweilt als interessiert. Albert blätterte unentschlossen in der kleinen Speisekarte und nahm sich vor, später, wenn Christiane eingetroffen sein würde, einen Spargelsalat zu bestellen. Der würde zu dieser Zeit zwar kaum frisch sein, aber auf die Nieren hatte auch konservierter Spargel jene Wirkung, die sich schon nach einer Stunde äußern würde. Deshalb verließ bei Verabredungen wie dieser Albert nach ungefähr solcher Wirkungszeit in der Regel seine Gesprächspartnerinnen für eine Weile, um sich zu vergewissern, dass seine Nierenfunktion unbeeinträchtigt bezüglich ihrer detoxisierenden Fähigkeit sei.

Albert versenkte die Spitze seiner ausgefahrenen Zunge in den weiten Rand seines Martiniglases und sah auf dessen Grund einen Brotkrümel. Er überlegte, ob er das Glas zurückgehen lassen sollte, entschloss sich dann aber, dieses nicht zu tun, denn wenn Christiane in ebendiesem Augenblick Adonis’ Restaurant beträte, begänne ihr Treffen mit einem Konflikt, der zwar nicht die beiden betraf, doch aber insofern tangieren könnte, als Christiane ihren Gesprächspartner in einer Weise einschätzen möchte, die er für seine Geschäfte unvorteilhaft fand. Er würde nicht beeinflussen können, was sie dächte, wenn sie auf eine Szene träfe, in der Albert wegen eines Brotkrumens den betagten Adonis herbeizitierte. Gleichwohl empfand er beim Genuss des Martinis eine Spur von Ekel, und sein Gesicht musste dieses zum Ausdruck gebracht haben, als sich hinter dem in einem Rundbogen gegen die Kälte aufgehängten Ledervorhang die Eingangstür zum Restaurant öffnete und eine blondierte, vielleicht knapp 1,60 Meter große, schlanke Frau mittleren Alters, Kleidergröße 36, das Lokal betrat. Sie war mit einer schwarzen Jeans bekleidet, trug dazu eine hellblaue Bluse, darüber eine schwarze Lederjacke mit leicht abgestoßenen Strickbändern am Gürtelrand und an den Ärmelenden. Da sonst kein einzelner Mann in Adonis’ ohnehin fast leerem Lokal saß, steuerte sie gleich auf ihn zu und fragte ihn, ob er der Schiffsmakler sei. Nachdem Albert ihre Frage bejaht hatte, entledigte sie sich ihrer Lederjacke und nahm übereck an seiner Rechten Platz. Sie entschuldigte ihre Verspätung mit der vergeblichen Suche nach einem Parkplatz, holte eine Schachtel französischer Zigaretten aus der rechten Tasche ihrer Lederjacke, die sie über einen der beiden freien Stühle gelegt hatte.

Albert entging, so unaufmerksam war er aus irgendeinem Grund, dass Christiane der Schachtel eine Zigarette auf die Weise entnahm, dass sie gegen den Schachtelboden klopfte und im Herausziehen einer Zigarette, deren Filterstück aus der Schachtelöffnung herausgetreten war, zwei weitere mit sich zog, die auf die schwarze Marmortischplatte fielen. Während sie diese in die Schachtel zurücksteckte, hätte Albert genügend Zeit gehabt, in seinen Taschen nach einem Feuerzeug zu suchen, Adonis um Streichhölzer zu bitten oder wenigstens sie selbst nach ihrem Feuerzeug zu fragen, mit Hilfe dessen er ihre Zigarette würde angezündet haben können. So kam es, dass sie, wortlos, mit den Augen auf der zweiten Seite der Speisekarte in die linke Lederjackentasche griff und sich die Zigarette selbst anzündete.



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